FASD und erlebte frühkindliche traumatische Erfahrungen

FASD und erlebte frühkindliche traumatische Erfahrungen

In Fachkreisen wird bei FASD zwischen primären und sekundären Beeinträchtigungen unterschieden. Primäre Beeinträchtigungen sind die angeborenen Einschränkungen, wie die Störung des Zentralen Nervensystems, welche wiederum Komorbiditäten mit sich bringt. Laut internationalen quantitativen Studien entwickeln Menschen mit FASD häufig sekundäre Beeinträchtigungen. Hierzu zählen Schulabbrüche, Defizite auf dem Arbeitsmarkt, Auffälligkeiten im Sexualverhalten, Obdachlosigkeit, Konflikte mit dem Gesetz, Suizidalität und Suchterkrankungen.

Eine interessante Erkenntnis ist, dass der Großteil der erfassten Menschen mit FASD häufig schon sehr früh mehrere Beziehungsabbrüche erlebt haben und nicht bei ihren Ursprungfamilien aufgewachsen sind. Die Studie Difficulties in daily living experienced by adolescents, transition‐aged youth, and adults with fetal alcohol spectrum disorder (2020) hat die Variable Trauma hinzugezogen. Ergebnisse zeigen auf, dass 51 % der Probanden frühkindliche traumatische Erfahrungen erlebt haben.  

Demnach ist nicht nur eine frühe FASD-Diagnose, sondern auch die Unterbringung in einem stabilen fördernden Umfeld und ein Nicht-Erleben von frühkindlichen traumatischen Erfahrungen protektive Faktoren zur Vermeidung von vielen sekundären Beeinträchtigungen.

Zu frühkindlichen traumatischen Erfahrungen gehören erlebte psychische und physische Gewalt, hierzu gehören u. a. Kindesvernachlässigung, körperliche und psychische Misshandlung, sexueller Missbrauch und häusliche Gewalt. Besonders schwerwiegende Folgen haben traumatische frühkindliche Erfahrungen, wenn sie durch Eltern oder andere nahestehenden Personen hervorgerufen werden. Diese Erfahrungen wirken sich auf die Entwicklung des Individuums aus – Inwieweit hängt vom Entwicklungsstand der heranwachsenden Person ab und ob das Umfeld einen Umgang mit dem traumatischen Geschehnis findet. Es ist maßgebend dafür ob und wie die Entwicklung fortan beeinflusst wird. Im Übrigen kommt es häufiger zu Gewalttaten gegenüber Kindern innerhalb der Familie, wenn sie eine geistige oder körperliche Unreife bzw. eine Entwicklungsverszögerung aufweisen. Frühkindliche Traumata haben zudem erhebliche negative Folgen für die Hirnentwicklung.

Die hinzugezogenen FASD-Studien zeigen auf, dass erfahrene frühkindliche traumatische Erfahrungen und Familienverhältnisse eine gewichtige Rolle bzgl. der Entwicklung von Sekundären Beeinträchtigungen, spielen. In der Praxis scheinen Menschen mit FASD – und ihre erlebten Herausforderungen – jedoch häufig auf ihr FASD reduziert zu werden.

Es ist also eine genauere Betrachtung gefordert, die das Verständnis und die Aufarbeitung erlebter frühkindlicher Traumata, die Menschen mit FASD erfahren haben können, miteinbezieht – sowie eine angemessene Schaffung eines Unterstützungsangebot diesbezüglich.

Literatur

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